Also - rein in das, worum es eigentlich geht: um copy und waste. Kopieren und verschwenden, alles, was möglich ist, was einfach da liegt, als Realität, nehmen und verwenden. So wie ein Fahrschein entwertet werden muss, damit er seinen Wert enthält: Verschwenden als das, was den Wert herauskitzelt aus den Dingen. Aus den alten Filmen, über die ich schreibe, oder aus Fernsehserien. Aus Biographien [schlimmer nur: Autobiographien] abgewrackter Filmstars der Achtziger oder abgefuckter R'n'B Sänger aus den Neunziger. Aus dem Umgang mit Theorien, die sowieso angewendet werden müssen, dazu sind sie da, und dazu bin ich da, um Theorie auf mich anzuwenden und zu wissen: Aha, das ist das praktische Leben. Das war und ist ein Schreibansatz, mit diesem ewigen Herumstehen und Warten am Kopierer, immer warten, was denn rauskommt. Ein kaputter Kopierer, bei dem du nie weisst, in welchem Format er das Kopierte ausspuckt, ob es zu dunkel oder zu hell ist, aus Versehen die Rückseite bedruckt wurde statt die Vorderseite oder beides zugleich. Und warum? WHY THE HELL? WARUM SO KOMPLIZIERT, WENN ES EINFACH GEHT? Weil das, was das ist, schon genug agiert. So wie Hubert Fichte schreibt: "Der ganze Roman / Fasst sich selbst unten / an die Seite / und blättert um". Stattdessen, in den ersten zehn Jahren dieses neuen Jahrhunderts: psychologische Geschichten und grosse Wenderomane mit nichts sagender Sprache, die erzählen von nichts sagenden Fressen, von Menschen die irgendwo herumsitzen und rauchen und Probleme haben, die sie plastisch erscheinen lassen sollen, aber die Sprache in der das passiert ist das Gegenteil, die ist nicht mal 2D! Aber selbstgemacht! Und sie hat wenigstens das zu sagen: Dass sie eigentlich nichts mehr sagen kann. Weil sie völlig abgelöst ist von irgendeiner Realität! Wie alles um uns herum sich doch immer mehr ablöst von dem, was erreichbar wäre. Die Geschichten um uns herum sind völlig unerreichbar: Jeder soll auf einmal übermenschlich schön und rauchfrei und biomässig fit und in gutem Gewissen sein. Das kenne ich doch noch von den Screamobands mit ihren Straight-Edge-Kreuzen auf der Hand, kein Alkohol, keine Drogen, manchmal auch kein Sex. Und auf einmal leben alle so. Was ist denn los? Eben waren wir doch noch independent, am Rand. Und jetzt? In der Mitte. Völlig aufpoliert. Jeder hat sich selbst aufpoliert, weil jeder jetzt einfach alles kann. Jeder kann ihn selbst machen, den roten Teppich, das ist erlernbar, und ich habe angefangen, ihn mir selbst zu gestalten. Und darauf stehe ich und drehe mich, als ehemaliges Riot Grrrl, heute: Diet Girl, bei irgendeiner Preisverleihung, und wenn ich eben nicht schauspielern kann oder Filme drehen, schreiben kann jeder, das habe ich mir beigebracht, ganz selbständig, INDEPENDENT! Texte, die bei anderen Texten abschreiben, ohne das kenntlich zu machen, die einfach dasselbe Thema haben [das da heisst: das hier ist ein grosses Thema] mit denselben Figuren [die immer andere Namen tragen, meistens aber Anne und Tom] und denselben Sätzen [die keine Sätze sind, weil sie immer viel mehr als das sein wollen: Poesie] und denselben Bildern [Bilder, die Realität abbilden sollen und Realität abziehen, aus der Wahrnehmung], das alles immer wiederholen, weil es eben irgendwie immer noch funktioniert, auf dem Markt. Und wann kommt nun der grosse Wenderoman? Oh bitte, gibt mir den anderen, den Unwenderoman. Umwenden und laufen, so schnell es geht, davor weglaufen, vor diesen Texten, die keinen Fehler an sich haben und mich erinnern an die schlimmsten Clubs und die schlimmsten Disco-Opfer.
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Wie kommen wir je wieder davon weg, glücklich zu sein, nur wenn wir arbeiten? Wobei die Arbeit nie nach Arbeit aussehen darf, nur nach Spass, nach Genuss: immer zur Verfügung stehen, wenn die Arbeit ruft. Wir Cock'n'Call-Boys. Wir sind rettungslos. Rettungslos gewonnen, für den Markt da draussen. Und die Blue Ray Discs? Bringen uns die die Rettung? Da kannst du wenigstens ranzoomen, bei dieser Auflösung kannst du unglaublich nah ranzoomen, und dann wird niemand mehr so tun können, als gebe es keine Narben, Schnitte oder wenigstens kleine Partien von Orangenhaut, wie an jeder Textur. Bitte? You must be joking. Äh. Must be choking. On my dick. Ist auch eine Art Selbsthilfe, oder? Ich dachte, der eigene Schwanz im Mund, das gäbe es nur im Porno. Den Porno kann man zwar überall bekommen, inzwischen, und da kannst du auch alles sehen, was du dir vorstellen kannst, vorstellen willst? Aber das heisst noch lange nicht, dass du es auch machen darfst. Hier darfst du nur bestimmte Moves machen [siehe: Heidi Klum]. In DEM Porno, diesem riesigen Porno, in dem wir sind, etwas, das uns immer anhält, bereit zu sein, für die nächste Nummer. Wir sind SO willig. Zu arbeiten, zu stylen, auszugehen. So willig, die Heftmappen aufzustellen, damit der neben uns nicht mehr abschreiben kann, auch wenn er es gar nicht tun würde, weil das, was zu sehen ist, so mickrig und billig ist. Dennoch müssen wir es schützen, uns schützen, uns und die, die so sind wie wir.
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ICH KANN ALLES! Selber. Sogar den Sozialstaat, sogar den kann und soll ich mir selber bauen. Das ist eine ganz neue Art von Sozialität, dass man die Dinge eben in die eigene Hand nimmt. STOP! Irgendetwas stimmt doch nicht mit diesem ganzen DIY-Ding, das wir so cool fanden, als wir noch jünger waren, weil es die älteren Geschwister oder älteren Cousins oder älteren Freunde in der Punk-Zeit entdeckt hatten oder wiederentdeckt und perfektioniert. Dass jeder alles kann, heisst das, dass jeder alles muss? Ja, und auch die Arbeitslosen werden Freelancer, immer dabei, sich selbst zu machen, immer neu und anders und besser zu machen. Just do it! Yourself. Und deshalb: NEIN! Ich kann gar nichts selber machen, ich muss als Parasit rumsitzen, auf Kosten des Staates, und andere abhören, mir was abschauen, abschneiden, abschreiben. Weil ich das, was mein Selbst sein soll, nicht raushalten kann aus dem, was mir begegnet, an Realität, egal in welcher Form. Und wie soll ich mich irgendwo orten, wenn ich nicht all das, was mir hilft, mich zu ordnen oder auch mal ordentlich in Unordnung zu bringen, wenn ich all das aufsammle und versuche, zueinander in Relation zu setzen, damit da, in der Relation oder als Relation, als Abstand zwischen den Dingen, Menschen, Themen irgendwo das auftaucht, von dem ich noch sagen kann: Das vielleicht, vielleicht bin das ich. In der Montage, auch wenn alle Partikel fremd sind, im Zusammenstoss dieser Teile, in den Techniken und Rhythmen des Schnitts das eigene Erleben wiederfinden, was nie möglich wäre, ohne Schnitt, nur diesem linearem Shit. Aber alles an mir ist nicht genug. Es geht nicht weiter. Ich bin stagniert, bin der Stilstand im Getriebe. Und doch seit zwei Jahren Gesellschafter einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts. Antibürgerlichen? Nein, das eh nicht, nee. Aber auch das Wissen darum wird mich nicht davor retten, mit allem, was ich mache, einen Markt zu bedienen. Wie gerade hier. Und langsam, aber sicher werde ich meinem Foto immer ähnlicher, da kann ich mich um noch so abseitige Themen bemühen [zur Zeit: Werwölfe, Transgender, Jane Fonda], um noch so viele Risse und Abgründe im Text, um noch grösseres Wirrwarr, entweder ich werde meinem Foto ähnlicher, während mein Foto selbst seltsam abwesend wirkt, mehr und mehr, oder es ist irgendwann aus.
(...)
Do it
Do it
Just do it
Do it
Do it, your self!
Tut mir leid. Es war nen letzten Versuch wert, diese hingerotzten Seiten hier, in vierzehn Tagen zusammengeklaut aus Notizbüchern, der Gala und der so genannten eigenen, einfach nur fehlerhaften Erinnerung. TUT MIR SEHR LEID! Jetzt sagen Sie es schon! Sagen Sie: Theorie kann dir auch nicht helfen. Du Diskursopfer. Und ich weiss gerade nicht, wie es weitergeht. Vielleicht im Fernsehen. Ich hab mich immer für mich interessiert, für das, was ich nur durch die, die sehr weit weg sind und mich nicht umgeben, mit deren Leben ich aber dennoch verbunden bin, nur das hab ich versucht zu verstehen. Aber in dieser aufpolierten DIY-Welt will das kein Schwein sehen. Vielleicht einfach mehr fernsehen. Das, was fern ist, ja, fern, sehen! Ich muss immer irgendwo nach Realität Ausschau halten. Ne, ausschauen. Ich muss immer irgendwo wie irgendeine Realität ausschauen. Dabei bin ich das Gegenteil von real, also ['ri:l] wie im Hip Hop. Das Gegenteil von echt. Und deshalb längst abgeschrieben. Und vielleicht, vielleicht wird man etwas mehr als einem Jahrzehnt über mich schreiben: An ihrem vierzigsten Geburtstag zog sie sich aus dem Showbiz zurück. Wer weiss? Bis dahin ist sicher nichts mehr übrig von diesem Selbst. Oder kannst du mir das noch mal erklären? Du schreibst ab, und das ist dann dein Subjekt, oder wie? Oh gee. Let's drop the subject! [Ein Traum, der gegen die Realität verstösst und es doch immer verpasst, sich dort einzuschreiben].
Jörg Albrecht, Schreib Dich Ab! Sonnst Müssen Wir Auch den Sozialstaat Selbst Bauen in Schreibkraft: Selbstgemacht, Heft 21, Frühjahr 2011, p.4-8.
Merci à L.F.M.